Old Church
Slavonic Heritage
in Slavonic and
Other Languages
Edited by
Ilona Janyšková,
Helena Karlíková
& Vít Boček
NLN
Praha 2021
The present volume was prepared with the support of the grant
from the Czech Science Foundation “Old Church Slavonic
Heritage in Old Czech” (Nr. 18-02702S).
Studia etymologica Brunensia 25
Eds. Ilona Janyšková, Helena Karlíková & Vít Boček
Reviewed by Stefan Michael Newerkla and Václav Blažek
© editors
ISBN 978-80-7422-780-6
Bohumil Vykypěl
„Südslavische Einflüsse“ auf das Tschechische
“South Slavonic Influences” on Czech. In the present paper, the author deals with what
can be considered as analogues in the history of Czech of the “South Slavonic Influence,”
showing that these were not as important as in the history of Russian. Keywords: Old Czech,
Old Church Slavonic, South Slavonic Influence, language contact.
„Südslavischer Einfluss“ ist – wie allgemein bekannt – ein Begriff der russischen Sprachgeschichte. Der erste südslavische Einfluss ist die Übernahme
des (ost)bulgarischen Altkirchenslavischen als Literatursprache im 10.–11.
Jahrhundert. Zweiter südslavischer Einfluss wird die Archaisierung der Literatursprache bzw. genauer deren Entfernen von der Volkssprache („Rebulgarisierung“) im 14.–15. Jahrhundert genannt. Schließlich wird von einer nochmaligen Archaisierung der Literatursprache im 17. Jahrhundert als von einem
dritten südslavischen Einfluss gesprochen. Nun wäre es, wie ich glaube, amüsant, aber zugleich auch lehrreich, entsprechende „südslavische Einflüsse“ in
der Geschichte des zur Slavia Latina gehörenden Tschechischen zu suchen.
Als den ersten südslavischen Einfluss kann man die von einigen Forschern
angenommene Rolle des Kirchenslavischen der tschechischen Redaktion als
Kultursprache neben dem Lateinischen im Böhmen des 10.–11. Jahrhunderts
sowie dessen Einfluss auf das Alttschechische betrachten. Jedoch wird die Annahme einer bedeutenderen Rolle des Tschechisch-Kirchenslavischen in der
besagten Periode von anderen Forschern in Zweifel gestellt, und der tatsächliche kirchenslavische Einfluss auf das Alttschechische scheint eher schwach
gewesen zu sein.¹
Ein zweiter südslavischer Einfluss lässt sich in der Wirkung des 1347 von
Kaiser Karl IV. gegründeten Prager Emmaus-Klosters und des dadurch vermittelten Kirchenslavischen der kroatischen Redaktion erblicken, und die
Metapher des zweiten südslavischen Einflusses ist in diesem Fall auch tatsächlich verwendet worden, und zwar – erwartungsgemäß – von František
Václav Mareš.² Auch dem Emmaus-Kloster und dessen SchriDtum haben einige Forscher (einschließlich Mareš) eine bedeutende Rolle im zeitgenössischen
tschechischen kulturellen Geschehen zugeschrieben. Doch war der Einfluss
des Emmaus-Kirchenslavischen auf das Alttschechische anscheinend noch
schwächer als jener des Tschechisch-Kirchenslavischen. Einige kroatisch-kirchenslavische bzw. altkroatische Elemente finden sich wahrscheinlich in
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Vgl. Vykypěl et al. (2021).
Vgl. Mareš (1985: 68).
Der vorliegende Text wurde mit Unterstützung des Projekts Nr. 18-02702S (Altkirchenslavisches Erbe im Alttschechischen) der Grantová agentura ČR verfasst.
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Klarets Wörterbüchern.³ Aber das sind – etwas zugespitzt gesagt – eher intellektuelle Spielereien. Einige kirchenslavische Wörter wurden in alttschechischen Bibelübersetzungen aus der zweiten HälDe des 14. Jahrhunderts festgestellt.⁴ Aber einerseits sind sie zahlenmäßig fast unerheblich bzw. unsicher,
andererseits stellen sie bloß einen textuellen, keinen sprachlichen Einfluss dar,
sind also auf einen bestimmten Text und dessen Replikation beschränkt. Die
Absenz eines bedeutenderen Einflusses des Emmaus-Kirchenslavischen auf
das Alttschechische wurde scharfsinnig dadurch erklärt, dass angeblich das
Tschechische die Rolle der slavischen religiös-erbauenden Sprache spielen sollte, während das Kirchenslavische die Funktion einer slavischen liturgischen
Sprache erfüllte, und dieser Unterschied sollte nicht durch die Entlehnung von
Kirchenslavismen verwischt werden.⁵ Wenn wir jetzt einmal davon absehen,
dass die besagte funktionale Unterscheidung der beiden Sprachen eigentlich
nicht belegt ist, so ist zu bemerken, dass eine solche Erklärung zwar elegant ist,
doch ist sie zugleich auch typisch funktional-strukturalistisch spekulativ bzw.
projiziert die moderne Idee einer grundsätzlichen funktionalen Differenzierung von Sprachen und sprachlichen Varietäten auf die vormoderne Zeit zurück. Dass solche „explikative Spekulationen“ freilich keine strukturalistische
Spezialität sind, wird dadurch bezeugt, dass man eine ähnlich scharfsinnige
Erklärung der Tatsache, dass es keinen Einfluss des Irischen auf das Althochdeutsche trotz der Annahme eines bedeutenden Einflusses der irischen Mission auf das althochdeutsche Milieu gibt, bei Reiffenstein liest, der schreibt,
dies gehe auf die milde und empathische Natur der irischen Mission zurück.⁶
Ein noch anderer eventueller Einfluss des Emmaus-Klosters und von dessen
Kirchenslavischem auf das Alttschechische wird durch die Vermutung postuliert, dass die durch das Kloster vermittelte glagolitische SchriD eine der Inspirationsquellen für die diakritische Orthographie des Alttschechischen gewesen
sei.⁷ Zwar ist diese Rolle der Glagoliza grundsätzlich möglich, doch ist sie zugleich schwierig positiv zu beweisen. Außerdem ist eher die Systematisierung
der vorherigen unsystematischen Verwendung von Diakritika als das Wesen des
Vorschlags einer alttschechischen diakritischen Orthographie zu betrachten.⁸
Nun hat der potentielle dritte südslavische Einfluss auf das Tschechische eine EigenschaD mit dem russischen dritten südslavischen Einfluss gemeinsam:
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Vgl. Michálek (1989: 38–46; 1991).
Vgl. Vašica (1930: 404–405; 1931: 12, 103), Mareš (1985: 67–69), Vintr (1990; 1991).
Vgl. Kolektiv (1973: 131), Němec (1975: 166), Michálek (1981: 45).
Vgl. Reiffenstein (1958: 20–21).
Vgl. insbesondere Stejskal (1970) und Mareš (1973).
Vgl. bereits Jireček (1872: 387) und Gebauer (1878: 219–220, Anm. **).
Wie der russische dritte südslavische Einfluss bekanntlich in Wirklichkeit
nicht aus dem slavischen Süden, sondern aus der Ukraine kam, so kam auch
der tschechische dritte südslavische Einfluss nicht aus dem Süden, sondern aus
Russland. Mit diesem dritten südslavischen Einfluss auf das Tschechische meine ich die }ese von einer grundlegenden Bedeutung bzw. sogar einer volkssprachlich treibenden Rolle des Altkirchenslavischen für das Alttschechische,
also eigentlich einen „Metaeinfluss“, einen Einfluss auf die Betrachtung der
Geschichte des Tschechischen, die seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts
zur Mainstreamauff assung in der sprachwissenschaDlichen Bohemistik wurde und auf den Einfluss von Roman Jakobson zurückgeht. Jedoch ist auch dieser südslavische Einfluss eigentlich eher beschränkt geblieben, und zwar eben
auf die sprachwissenschaDlichen Bohemistik bzw. die tschechische Slavistik.⁹
Die – freilich nicht unerwartete – Pointe unserer kurzen Geschichte über
die „südslavischen Einflüsse“ in der Geschichte des Tschechischen kann etwa
so lauten, dass das Altkirchenslavische und dessen Rolle in der Geschichte
des Tschechischen als ein feiertägliches, alternatives oder experimentales
Konzept auDreten, während der Alltag des Tschechischen sich in der Slavia
Latina abspielt.
Literaturverzeichnis
Gebauer 1878: Gebauer, J., Ku kvantitě ve staročeských Zlomcích Epických. Listy filologické
5, 219–227.
Jireček 1872: Jireček, J., K rozboru staročeského překladu starého zákona. Časopis Musea
Království českého 46, 385–401.
Kolektiv 1973: Kolektiv oddělení pro dějiny českého jazyka ÚJČ ČSAV, K lexikálnímu vývoji
spisovného jazyka českého v době Karlově. Slovo a slovesnost 34, 129–133.
Mareš 1973: Mareš, F. W., Die kyrillo-methodianischen Wurzeln der tschechischen diakritischen Orthographie. Anzeiger der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen
Akademie der Wissenschafen 110, 81–99.
Mareš 1985: Mareš, F. V., Die älteste tschechische Psalterübersetzung und ihr Verhältnis zu
der kirchenslavischen Psaltertradition. Slavica Hierosolymitana 7, 63–75.
Michálek 1981: Michálek, E., Sociální a kulturní rozvoj doby Karlovy ve světle staré češtiny.
In: Porák, J. (Hrsg.), Mezinárodní vědecká konference Doba Karla IV. v dějinách národů ČSSR,
pořádaná Univerzitou Karlovou v Praze k 600. výročí úmrtí Karla IV. 29. 11. – 1. 12. 1978. Materiály ze sekce jazyka a literatury, Praha, 21–47.
Michálek 1989: Michálek, E., Česká slovní zásoba v Klaretových slovnících, Praha.
Michálek 1991: Michálek, E.: K vztahům mezi církevní slovanštinou a češtinou ve 14. století.
Listy filologické 114, 243–245.
Němec 1975: Němec, I., K podílu Emauzského kláštera na rozvoji staré češtiny. In: Petr, J. –
Šabouk, S. (Hrsg.), Z tradic slovanské kultury v Čechách. Sázava a Emauzy v dějinách české
kultury, Praha, 165–168.
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Vgl. Vykypěl et al. (2021).
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Reiffenstein 1958: Reiffenstein, I., Das Althochdeutsche und die irische Mission im oberdeutschen
Raum, Innsbruck.
Stejskal 1970: Stejskal, K., Die Orthographia Hussens und das slawische Kloster in Prag-Emaus. Mediaevalia Bohemica 3, 265–277.
Vašica 1930: Vašica, J., [Rezension] E. Rippl: Der alttschechische Kapitelpsalter (Prag 1928).
Listy filologické 57, 402–405.
Vašica 1931: Vašica, J., Staročeské evangeliáře. Studie průpravná, Praha.
Vintr 1990: Vintr, J., Lexikalische Einflüsse des Prager glagolitisch-kroatischen Emaus-Klosters im alttschechischen Psalter. In: Holzer, G. (Hrsg.), Croatica – Slavica – Indoeuropaea.
Festschrif zum 60. Geburtstag von Radoslav Katičić, Wien, 269–274.
Vintr 1991: Vintr, J., Die Wiedergabe der Gräzismen in den ältesten tschechischen Bibeltexten. Sborník prací filozofické fakulty brněnské univerzity E 36, 75–79.
Vykypěl et al. 2021: Vykypěl, B. –Karlíková, H. – Janyšková, I. – Boček, V., Staroslověnské
dědictví ve staré češtině, Praha.
Bohumil Vykypěl • vykypel@ujc.cas.cz
Ústav pro jazyk český AV ČR, etymologické oddělení
Veveří 97, 602 00 Brno, Česká republika