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REMY VIREDAZ
offerts a Witold Mahczak a 1'occasion de son 90e anniversaire. Krakow: Polska Akademia Umieje>
nosci >' Uniwersytet Jagielloiiski, 451-464.
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BEMERKUNGEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHWISSENSCHAFT IM NATIONALSOZIALISMUS
BOHUMIL VYKYPEL (Bmo)
Abstract:
In the present paper the author deals with motives for the positive attitude of intellectuals
to National Socialism, taking the Slavicist Karl Heinrich Meyer (1890-1945) and the
Indo-Europeanist Erich Hofmann (1895-1982) as examples. He also sketches a typology
of these motives.
Keywords: linguistics, National Socialism, Slavic Studies, Indo-European Studies
Den Herbst 1998 verbrachten Vaclav und ich in Bonn. Ich wohnte als DAADStipendiat in einem nicht sehr gemiitlichen Studentenwohnheim in Tannenbusch,
wahrend Vaclav als Humboldt-Stipendiat ein schones Appartement in einem
Gartenviertel hatte. Daher kam ich gerne zu Vaclav zu Besuch, zumal er immer mit leckerem Hackbraten von seiner Ehefrau versorgt war. Wir fuhrten auch
spannende Gesprache zu verschiedenen, nicht selten auch politischen, Themen.
Mit einem solchen spannenden sprachwissenschaftlich-politischen Thema mochte ich nun in Erinnerung an die Bonner Zeit zu dieser Festschrift beitragen: Am
Beispiel des Slavisten Karl Heinrich Meyer und des Indogermanisten Erich Hofmann mochte ich Motive fur positive Einstellung von Intellektuellen zum Nationalsozialismus behandeln.
1. Karl Heinrich Meyers lichte Zukunft
Das Leben von Karl Heinrich Meyer (1890-1945} war im Grunde eine ruhige
professionelle Laufbahn mit einem tragischen Ende in tragischen Zeiten. 1 Er
studierte 1910-1913 Indogermanistik und Klassische Philologie in Heidelberg,
Berlin und Minister und promovierte 1913 in Miinster mit einer grazistischen
1 Am ausrlihrlichsten wurde Meyers Leben und Werk von Zeil (1990) behandelt; neuerdings vgl.
Lehteldt(2012).
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ZUR DEUTSCHEN SPRACHWISSENSCHAFT IM NATIONALSOZIALISMUS
BOHUMIL VYKYPEL
Dissertation. Danach setzte er sein Studium 1913-1914 in Leipzig fort, wo er
noch Karl Brugmann und August Leskien horte. In Leipzig orientierte er sich
auf die Slavistik urn, und 1920 habilitierte er sich in Leipzig bei Matija Murko
mit einer Arbeit zum Verlust der Flexion im Bulgarischen. 1920-1927 war Meyer
Privatdozent in Leipzig. Nachdem seine Berufung nach Graz 1921 und spater
seine Ernennung zum auBerordentlichen Professor angeblich durch den Widerstand deutschnationaler Kreise verhindert worden war, ging er nach Munster,
wo er zunachst Privatdozent, spa'ter ab 1929 nichtbeamteter auBerordentlicher
Professor fur Slavische Philologie war. 1935 wurde Meyer schlieBlich als auBerordentlicher Professor fur Slavistik nach Konigsberg berufen. In Konigsberg blieb er bis zu seinem Tod: Nachdem die Sowjetarmee am 9.4.1945 die
schon seit Ende Januar 1945 eingekesselte Stadt. aus der es kaum mehr inoglich war zu fliichten, erobert hatte, wurde er in einem Lager interniert und starb
kurz nach seiner Entlassung am 4.5.1945.
Das Werk von K. H. Meyer war thematisch mannigfaltig, indem er nicht nur
sprachwissenschaftliche oder philologische Themen, sondern auch jene der
slavischen Religion. Ethnographic, Literatur und Geschichte behandelte. Auch
halte ich nicht wenige Texte von Meyer fur heute noch inspirierend. An dieser
Stelle mochte ich jedoch iiber seine politischen Ansichten schreiben.
In dieser Hinsicht hat Meyer offenbar eine Entwicklung durchgemacht. In den
I920er Jahren geriet er - wie oben erwahnt - in Konflikt mit Leipziger deutschnationalen universitaren Kreisen, u. a. auch wegen seiner positiven Beziehung
zur Tschechoslovakei. 2 Diese positive Einstellung Meyers reflektiert sich allgemeiner auch in seinem Bericht iiber den Stand der slavistischen Forschung
in Europa nach dem Weltkrieg (Meyer 1924), der objektiv, sachlich. informativ und vor allem positiv gesinnt ist. ohne Bitternis gegenuber den ,.Siegermachten", die man dainals beispielsweise bei Meyers slavistischem Kollegen
Paul Diels (1920) fmdet. Ahnlich bekannte sich Meyer zu der von Schmid und
Trautmann formulierten Rolle der deutschen Slavisten als Vermittler, die ,,schiefe Urteile" zu beseitigen haben (vgl. Meyer 1929: 109). Nur zwei Wolkchen
am vorlaufig hellen Himmel waren 1925 die Bemerkung in einer Ubersicht
iiber die neueste sorabistische Literatur. dass den zahlreichen sorabistischen
Schriften von Josef Pata ,,keinerlei wissenschaftliche Bedeutung" zukomme,
derm sie seien ,,publizistischer, propagandistischer Natur" (vgl. Meyer 1925: 9),
und 1928 die am Rande geiibte Kritik in seiner Besprechung der Festschrift
Seine Berufung nach Graz sei 1921 deswegen gescheitert, well ihm die ..protschechisch-antideutsche Verhaltensweise" von der Leipziger Kammer der deutschen Studentenschaft der Universitat \orgeworfen wurde (vgl. Hafner et al. 2005: 48, Anm. 93). In seinem Brief an Fran Ramovs
vom 20.11.1920 erwahnt Meyer ,,mancherlei Unannehmlichkeiten", die er durch seine ..Sympathie
mit den Cechen" schon gehabt hahe (vgl. Rohling 1990: 423). Vgl. auch Zeil (1990: 2?f.).
:
Zubaty an einer ,,uberflussigen politischen Bemerkung" und an Vocadlos tschechischem Patriotismus (vgl. Meyer 1928).
Eine etwas bedeutendere Wolke ist Meyers Lektiire des Buches Der Kampf
zwischen Tschechen und Deutschen von Emanuel R&dl, die er 1930 in seiner
Besprechung von Vondraks Grammatik verriet (vgl. Meyer 1930). Es ist interessant, dass Meyer Radls Buch nicht nur kannte und las, sondern auch als Autoritat zitierte: Das Buch betrachtete die tschechische Geschichte und die Beziehung zwischen Tschechen und Deutschen in den bohmischen Landern vom
deutschnationalen (volkisch nationalistischen) Standpunkt aus und war daher
in deutschnationalen Kreisen popular.4 Es stellt sich die Frage, ob dies darauf
schliefien lasst, dass auch Meyer auf dem deutschnationalen Standpunkt stand.
Wean das der Fall ware, so schiene es in einem gewissen Widerspruch damit
zu stehen, was oben iiber den Konflikt Meyers mit den deutschnationalen
Kreisen gesagt wurde. Jedoch mag der Verweis auf die Autoritat Radls auch
als Anzeichen dafur gedeutet werden, dass Meyers Begeisterung fur die ,,tschechische Sache" Ende der 1920er Jahre, als er die Besprechung von Vondraks
Grammatik schrieb, einigermafien abgenommen hatte. Diese zweite Moglichkeit passt nun besser zu einer weiteren Begeisterung, die kommen sollte: jener
fur den Nationalsozialismus.
Diese neue Begeisterung fand den explizitesten Ausdruck bei Meyer in einem
Satz, auf den Schaller (2009: 158) aufmerksam gemacht hat und den man in
dem im Sommer 1934 datierten Vorwort zu Meyers altkirchenslavisch-griechischem Worterbuch des Codex Suprasliensis liest: ,,Die Niederschrift ist
symbol- und schicksalhaft im Januar 1933 begonnen" (Meyer 1935: XI).
Der Satz ist nur scheinbar ambivalent, denn Meyer setzt mit einem Bild einer
,,lichten Zukunft" fort, in die seine zwei Tochter weisen, denen das Buch gewidmet ist, und die offenbar im Januar 1933 begann:
So mag auch der Widinung syinbolische Bedeutung zugemessen werden: die beiden jungen Spenderinnen von Veramwortungswillen und Schaffenskraft, die inir so ungeza'hlte
Stunden des Gliicks in Frage und Antwort, in Spiel und Ernst bereilel haben, weisen in
eine lichte Zukunft.
Auch Meyers Briefe an den bulgarischen Dichter Kiril Christov aus der zweiten Ha'lfte der 1930er Jahre bezeugen, dass er von der nationalsozialistischen
Bewegung in einem gewissen MaBe beeindruckt war - von ihrem gewissen
,,revolutionaren Opthnismus" (vgl. Zeil 1990: 28f). Ahnlich auBerte Meyer in
einem im Mai 1936 gehaltenen Vortrag implizit seine Dankbarkeit fur den nationalsozialistischen Umsturz von 1933, indem er sagte:
' Radl (1928a); tschechisches Original: Radl (1928b).
4
Vgl. hierzu Hahnova (2004).
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BOHUMIL VYKYP^L
Was es bedeutet, als groBes Volk der Freiheit bernubt zu sein, nichl als Heir im eignen
Hause zu walten. das haben wjr Deutsche der Gegenwart in den anderthalb Jahrzehnten
nach dem Weltkrieg erfahren. (Meyer 1937: 8)
Es iiberrascht dann auch nicht, dass Meyer in seinem Brief an Fran Ramovs
vom 6.1.1939 uber ,,eine irregeleitete Nachkriegszeit" schrieb, die geglaubt habe, sich iiber die ,,allernatiirlichste Tatsache" hinwegsetzen zu konnen, dass das
Deutsche ,,die Verkehrssprache unter den Siavisten in aller Welt" sei (vgl. R6hling 1990:426).
Meyer akzeptierte anscheinend - ahnlich wie etwa der Philosoph Martin Heidegger oder der Dichter Gottfried Benn - die scheinbare Aufbaukraft der nationalsozialistischen Bewegung (den inneren Aufbau der Gesellschaft), ohne
die aggressive Komponente (auBere expansive Extension) wahrzunehmen, womit sich auch das erklart, was Zeil (1990: 29) verwundert, dass namlich Meyer
gute Beziehungen zu slavischen Fachkollegen weiter pflegte und in seinen Texten sich kaum nationalsozialistische Rhetorik findet. Naturlich ist diese ,,selektive Akzeptanz" etwa gleich naiv wie - urn den Vergleich mit Heidegger weiterzuentwickeln - der beruhmte Unterschied Heideggers zwischen der ,,inneren
Wahrheit und GroCe" der nationalsozialistischen Bewegung und dem, ,,was heute vollends als Philosophic des Nationalsozialismus herumgeboten wird" und
was mit dem Ersteren ,,nicht das Geringste zu tun" habe (vgl. Heidegger 1953:
152). Nur ist nicht sicher, ob Heidegger dies wirklich in seiner Vorlesung von
1935 fonnuliert hatte oder aber sich erst 1953, als die Vorlesung publiziert wurde, hinzudichtete, um als einstiger Regimeopponent auszusehen.
Falls wir nun auch die Stufe der Identifizierung Meyers mit dem Nationalsozialismus messen mochten, so bietet sich ein verlasslicher Indikator eines ,,vollbliitigen" Nationalsozialisten an - der Antisemitismus. In dieser Hinsicht gab
es bei Meyer ebenfalls eine gewisse Entwicklung. 1934 hat er in dem oben erwahnten Vorwort, in dem man die bewegte Bekenntnis zum Januar 1933 liest,
seinen einstigen Leipziger jiidischen Kommilitonen, den beruhmten amerikanischen Linguisten Leonard Bloomfield nicht verschwiegen (vgl. Meyer 1935:
XI). 1936 schrieb er in einem Text uber die deutsch-polnischen Beziehungen
iiber die Juden in der polnischen Geschichte noch neutral (vgl. Meyer 1936a:
268f.). 1938 sprach er - in einer Fortsetzung dieses Textes - jedoch schon von
,,der diisteren Rolle der Juden" (vgl. Meyer 1938: 84). Diese Entwicklung sieht
jedoch eher wie Opportunismus aus.
Ahnlich zweideutig hinsichtlich Oberzeugung oder Opportunismus ist die Parole des bestimmenden Einflusses der Deutschen bei ihren ostlichen Nachbarn,
die nicht nur bei den Nationalsozialisten, sondern auch generell bei deutschen
Patrioten beliebt ist. 1929 betrachtete Meyer den Einfluss Jakob Grimms auf das
Kritischwerden der polnischen Volkskunde als noch nicht festgestellt, obzwar
ZUR DEUTSCHEN SPRACHWISSENSCHAFTIMNATIONALSOZIAUSMUS [ 427
wahrscheinlich (Meyer 1929: 112); in seinem spateren Aufsatz uber die deutschpolnischen Kulturbeziehungen hingegen bewies er 1936 mit einer Flut von Namen, dass die Deutschen die Kuiturtrager in Polen und andere Einfliisse in Polen
weit weniger bedeutend gewesen seien (vgl. Meyer 1936a), und projizierte somit zeitgemafi und zeitiiblich die moderne nationale Identitat auf die Vergangenheit zuriick. Ahnlich lobte Meyer in einem im Februar 1932 gehaltenen Vortrag die Eigenstandigkeit der ukrainischen Kultur (vgl. Meyer 1932), wahrend
er im Dezember 1933 das altrussische Igorlied und allgemeiner die ukrainische
Kultur, zu der er eben auch das Igorlied zahlte, gleichsam als nordgermanisches
Kulturgut prasentierte (vgl. Meyer 1933a), wobei diese Auffassung noch in seiner Einleitung zu der im Friihjahr 1933 entstandenen Edition des Igorliedes fehlte (vgl. Meyer 1933b: 5-8). SchlieBlich ist das Sorbische 1936 natiirlich ,,ein
mit vielfach slavischen Wortern und fast ganz mit slavischen Formantien ausgedriicktes deutsches Idiom" (Meyer 1936b: 226), und ein spaterer Text von
Meyer iiber gennanische Worter bei den Slaven beginnt mit einem Satz, in
dem die Germanen als ,,gebende Spender sprachlichen Lehngutes und [...] der
Kulturgiiter" nicht nur in der tausendjahrigen Vergangenheit, sondern auch
heute noch portratiert werden, ohne dass allerdings im Einzelnen ausgefuhrt
wird, welches Kulturgut gerade 1942 gespendet wurde, worauf im eigentlichen
Text jedoch eine Obung in der traditionellen ,,Lehnwortkunde" folgt (Meyer
1942). Dies alles erscheint also - ahnlich wie oben im Falle der Juden - wie
zeitgenossischer Opportunismus.'
Nun la'sst sich jedoch die anscheinend opportunistische Motivation d* zitierten Aussagen Meyers zu Juden und dem deutschen Kulturtragertum im Osten
auch als Ausdruck der oben erwahnten selektiven Akzeptanz der nationalsozialistischen Bewegung verstehen: die Zustimmung zum vermutlichen inneren
Aufbau und die (allerdings versteckte) Ablehnung einer auBeren Aggression im gegebenen Falle gegen die Juden und die ostlichen Nachbarn.
Was schlieClich den institutionellen Aspekt der Sache angeht, so a'uBert sich
die meiste Literatur iiber Meyer nicht zu der Frage, ob er Mitglied der NSDAP
war oder nicht. Nur Bott (2005: 282, Anm. 29) schreibt, Meyer sei ,,im Februar
1934 nicht der Partei, aber der Reichsschaft Hochschullehrer im NS-Lehrerbund" beigetreten.
5 Ebenso wenig eindeutig ist beispielsweise auch eine AuCerung in einem privaten Brief Meyers
von 1944, in dem er von ..letzt lichen Terrorangrit'ten auf Briinn" (anstati - beispielsweise - Bombenangriffen) der alliierten Luftwaffe spricht (vgl. Bocek/MalCfk 2011: 499), denn 1944 war man
wegen der andauernden Kriegsleiden womoglich in der Wortwahl wenig zimperlich.
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BOHUMIL VYKYPEL
ZUR DEUTSCHEN SPRACHWISSENSCHAFT IM NATIONALSOZIALISMUS
2. Erich Hofmanns Hindurchretten
Ein anderes Beispiel fur die ,,selektiv akzeptierende 11 Einstellung zum Nationalsozialismus, die wir bei Meyer festgestellt haben, bietet der Indogennanist
Erich Hofmann (1895-1982).6
Hofmann studierte in Gottingen beim Indogermanisten und Baltisten Eduard
Hennann und in Leipzig beim Baltisten Georg Gerullis und dem Slavisten Max
Vasmer und habilitierte sich 1926 bei Hermann mit einer Arbeit zum Ausdruck
von Verstarkung, insbesondere in den baltischen und slavischen Sprachen. Er
war dann Privatdozent in Gottingen, bis er 1934 zum auBerordentlichen Professor fur vergleichende Sprachwissenschaft in Marburg ernannt wurde. 1936
wurde er als ordentlicher Professor nach Miinster berufen. Nachdem der politisch unverlassliche Friedrich Slotty pensioniert worden war, wurde Hofmann
1940 an dessen Stelle an der Deutschen Universitat in Prag berufen. Von Prag
ging Hofmann 1943 nach Berlin, wo er Referent fur Geisteswissenschaflen im
Reichserziehungsministerium war. Nach dem Krieg war er schlieBlich seit 1950
bis zu seiner Emeritierung 1963 Professor fur vergleichende Sprachwissenschaft
in Kiel.
Zwar trat Hofmann im Mai 1933 der NSDAP bei, unterzeichnete im Herbst 1933
das ,,ruhmvolle" Bekentitnis der Profcssoren on den deutschcn Universitaten
und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nafionahozialistischen Staat und war
sogar Mitglied der SA (vgl. Miskova 2007: 302), doch scheint er - ahnlich wie
Meyer, Benn oder Heidegger - eben zu denjenigen Intellektuellen gehort zu
haben, die sich von der nationalsozialistischen Bewegung eine Erneuerung der
Gesellschaft versprachen, ohne damit notwendigerweise auBere Aggression zu
verkntipfen. Obwohl Hofmann vor allem zu anderen als bohemistischen Themen schrieb, sind gerade zwei gelegentliche rein bohemistische Texte von ihm
fiir dieses Verhaltnis zum Nationalsozialismus aussagekraftig.
Der eine Text ist ein Aufsatz zum tschechischen Dichter Petr Bezruc (Hofmann
1936), offenbar ein spates Produkt von Hofmanns einstiger Exzerption fur die
Habilitationsschrift. Der Text bringt eine bescheidene Analyse der antiken Motivik bei Bezruc. Beachtenswerter - zumindest fur unsere Fragestellung - ist
jedoch der allgemeine einleitende Teil, in dem Hofmann Bezruc etwa als einen
Nationalsozialisten avant la iettre auffasst: Der doppelte - soziale und nationale - Kampf der Helden seiner Gedichte habe Bezruc davor bewahrt, ,,statt sozialer Dichtung marxistische zu schaffen". Dies lasst sich etwa als den positiven, wiewohl in Wirklichkeit - ebenso wie die oben erwahnte Heideggersche
,,innere GroBe der Bewegung" - illusorischen Kern der nationalsozialistischen
'Vgl. zu Hofmann Morkdnas(2008: 213)mit Literatur.
Bewegung verstehen: die nationale und die soziale Befreiung. Auf jeden Fall
steht Hofmann den Tschechen freundlich gegeniiber, wenn er ihren - in Bezruc
vcrkorperten - Kampf gegen die Deutschen ,,entschuldigt":
Und heute, wo wir - gerade im Interesse unseres Deutschlmns - den Minderheitsfragen
erhohie Aufmerksamkeit widmen, haben wir fur die Gedichte des Petr Bezruc besonderes
Verstandnis, miissen wir ihre Schonheit genieBen kb'nnen, wenn er auch gerade iiber die
Deuischen am bittersien klagi. (Hofmann 1936: 35)
Ahnliches fmdet sich nun im zweiten, 1944 eingereichten und bemerkenswerterweise 1952 unverandert abgedruckten,' bohemistischen Text Hofmanns, einem etwas seltsamen - stellenweise wie eine dilettantische Sammlung zufa'llig
gefundenen sprachlichen Materials anmutenden - Aufsatz uber deutschen Einfluss auf das Tschechische, der offenbar eine bohemistische Frucht des kurzen
Prager Aufenthaltes Hofmanns war (vgl. Hofmann 1952). Zwar ist die ideelle
Grundeinstellung des Autors jene, dass die Tschechen den Deutschen unterlegen sind und sein sollen, doch wird wieder Verstandnis fur ihren Kampf geauBert, diesmal im Bereich der Sprache:
So sank der Gebrauch deutscher Worter innerhalb der tschechischen Rede iinmer mehr ab
(was ja vom Standpunkt der Sprachreinheil und Sprachschonheit positiv zu werten war)
[...]. (Hofmann 1952:271)
Hofmann scheint also der nationalsozialistischen Bewegung als vermutlicher
Kraft des inneren Aufbaus zugestimmt zu haben, ohne sich mit der auCeren
Expansion zu identifizieren, wie die erwahnten ,,Entschuldigungen" der Tschechen andeuten, was tin Ubrigen bereits als Zeitgenosse der tschechische Literaturhistoriker Fedor Soldan (1937) in seiner Notiz zu Hofmanns Aufsatz iiber
Bezruc erfasst hat, als er schrieb, dass dieser objektiv, obwohl einigermaBen
gleichgeschaltet verfasst worden sei. Dem entspricht anscheinend auch die Tatsache, dass Hofmann 1940-1943 als Professor in Prag und^Kogar Dekan der philosophischen Fakultat und Prorektor gema'Bigte Gruppen an der Universitat unterstiitzte.8 Auf der anderen Seite behauptete Simon (2000; 9, 10), dass Hofmann fur Prag bereits 1936 vorgeschlagen worden sei, und stellte sogar die
Frage, ob er - wie andere Kandidaten fur vakante Lehrstiihle in Prag, bei denen
dies tatsachlich belegt sei - vom Sicherheitsdienst vorgeschlagen wurde, konnte diese Vennutung jedoch nicht belegen.
Hofmann erklarte spater in einer Passage seiner Obersicht iiber die Geschichte
der Kieler Universitat, warum sich manche Universitatsprofessoren im Friihjahr 1933 den Nationalsozialisten anschlossen, wobei er offenbar von sich selbst
und seinen eigenen Griinden sprach: Er verwies einerseits auf die Hoffnung,
7
Vgl. Hofmann (1952: 267, Anm. 2) zur Datierung des Textes.
3
Vgl. Konrad (2011: 215f.. 247-249, 278), HlavaCkova / MiSkova {2001:421f.).
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BOHUMIL VYKYPEL
dass die neue Macht die als unertraglich empfundenen Probleme, in die Deutschland geraten war, losen werde, und andererseits auf die Bemiihung. durch den
Parteibeitritt ,,die wissenschaftliche Forscliung in Deutschland durch die Irrungen und Wirrungen der ,,deutschen Revolution" hindurchzuretten" (vgl. Hofmann 1965: 85).9 Nun ist der zweite Punkt auch den Wissenschaftlern, die in
der kommunistischen Tschechoslovakei arbeiteten, wohl bekannt, als nicht wenige Kollegen durch den Beitritt zur analogen Partei die Forschung durch die
Irrungen der analogen Revolution hindurchretten wollten, ohne zu bemerken,
dass sie damit nicht wenig zur moralisch-intellektuellen Zersetzung der wissenschaftlichen Gemeinschaft beitrugen.
3. Abschliefiende typologische Bemerkungen
Wir konnen diese Bemerkungen iiber die Beziehung von Intellektuellen zum
Nationalsozialismus schlieBlich mil einer ,,typologischeiT Betrachtung abrunden.
Der Nationalsozialismus war fur Intellektuelle offenbar durch seine Ambivalenz
attraktiv: Da die Bewegung sich national und sozial deklarierte. konnte sie sowohl als eine konservative als auch als eine revolutionise Kraft verstanden werden, wobei der iiberdachende Appell an das Deutschtum auch ein Engagement
fur das Regime ohne Mitgliedschaft in der Partei moglich machte. Meyer und
Benn, die beide nicht Mitglieder der NSDAP waren, gehorten offenbar zum
..revolutionaren Typ". Hingegen wurde der Conservative Typ" von zwei Historikern verkorpert, die auch keine Mitglieder der Partei waren, aber das Regime - der erste weniger stark, der zweite starker - unterstiitzten: Der Mediavist Herbert Grundmann (1902-1970) fand den gemeinsamen weltanschaulichen
Nenner mit den Nationalsozialisten in der Uberzeugung von der Uberlegenheit
des deutschen Volkes;10 der in Reichenberg geborene Hermann Aubin (18851969), der jedoch lieber nach Deutschland studieren ging, urn ,,nicht unter die
Tschechen zu geraten"," realisierte die Oberlegenheitsiiberzeugung wiederum
fleiBig in seiner regimekonfonnen Ostforschungsarbeit in Breslau in den 1930er
und 1940er Jahren. 12 Hofmann und Heidegger, beide - im Unterschied zu den
Ahnlich wollte offenbar auch Hofmanns einstiger Lehrer Eduard Hermann sein Fach durch die
Zeit ..hindurchretten": Wie Hofmann unterschrieb er im Herbst das oben erwahnte Bekenntnis zu
Hitler und dem NS-Staat und veroffentlichte 1937 den heriichtigten Text dariiber, was die Indogermanistik dem Nationalsozialismus zu bieten habe (Hermann 1937), der eben als ein Versuch.
die Positionen zu verteidigen, eher denn als ein Angebot an das Regime zu lesen ist (vgl. Knobloch 2005: 31-33, 269f..353f.).
10 Vgl. zu Grundmann Nagel (2004).
1 1 Vgl. Miihle(2005: 19).
12 Vgl. zu Aubin Volkmann (2017). 1940 befunvortete Aubin das Verbot des Buches von Reinhold
Trautmann iiber die slavischen Ortsnamen Mecklenburgs und Holsteins, um zu verhindem, dass
ZUR DEUTSCHEN SPRACHWISSENSCHAFT IM NATIONALSOZIALISMUS
eben Genannten - Mitglieder der NSDAP. sind eher zum revolutionaren Typ
zu rechnen, wobei Hofmann anscheinend dessen ,,pragmatische" Variante verkorperte, wahrend Heidegger vielleicht als ,,idealistische" (bzw. - scharfer, aber
wohl treffender gesagt - fachidiotische) Variante zu betrachten ist. Ein Reprasentant des konservativen Typs, eines im volkisch-nationalen Milieu wurzelnden Intellektuellen, hingegen war der Indogermanist Walter Porzig (1895-1961):
Damit lasst sich die ofters erwahnte 13 Tatsache erklaren, dass er, obzwar ein
aktives Mitglied der NSDAP, strikt Politik und Wissenschaft trennte, die offenbar so zu verstehen ist, dass er konservativ die Autonomie seines Faches
gegen ,,Revolutionare", d. h. rassenkundlich und ahnlich argumentierende Sprachforscher, verteidigte.14 Eine interessante Frage ist schliefilich, wie der Sprachwissenschaftler Leo Weisgerber (1899-1985) zu typologisieren ware: Er war
kein Mitglied der NSDAP, konnte aber gut mit dem Regime zusammenarbeiten, wobei sein Begriffder Muttersprache gleichsam ahnlich elastisch revolutionar-konservativ oder konservativ-revolutionar wie der Nationalsozialismus
selbst war.13
AuBerdem gab es natiirlich auch einen sozusagen universalen Karrieristentyp,
den Joseph Goebbels meinte, als er 1933 sagte: ,,Wir wussten gut: wenn wir
erst die Macht haben, dann kommen die Intellektuellen von selber" (vgl. Mann
1986: 534), und iiber den sich dann der ahnungslose Prager deutsche Historiker
und Nationalsozialist Josef Pfitzner beschwerte, als er in seinen im Juli 1945 in
der Haft verfassten Betrachtungen komischerweise (bzw. tragikomischerweise)
den Dilettantismus und die mangelnde Professionalitat der nationalsozialistischen Fuhrung als ,,Griinde fur den deutschen Zusammenbruch" bezeichnete
(vgl. Pfitzner 2000). Auf jeden Fall verschwanden 1945 alle diese Typen ziemlich schnell, so dass Golo Mann (1992: 962} spater schreiben konnte: ,,Mit unglaubigem Staunen fanden die Alliierten, dass es in dem Land, das zwolf Jahre
lang vom Nationalsozialismus regiert worden war, eigentlich iiberhaupt keine
Nationalsozialisten gab."
m
0
,,von neuem Misstrauen zwischen die politische Verwaltung und die wissenschaftliche Forschung"
gesat wird (vgl. MLihle 2008: 284).
13
Vgl. Koerner (2004: 24), Knobloch (2005: 28), Lerchenmiiller / Simon (2009: 102), Maas (2016:440).
Ahnlich Maas (2016: 511). Man vergleiche zu Porzig Knobloch (2005 passim). Zwar ging Romer
(2010) bei ihrer SucKe nach den Spuren der nationalsozialistischen Weltanschauung in Porzigs
Texten wohl zu weit, doch deutei sein aufrichtiges Bedauem 1940, dass ,,die Phonologen ausser
Trubetzkoy hauptsachlich Prager Juden" gewesen seien, an, dass die besagte Trennung von Politik
und Wissenschaft nicht unbedingt war (vgl. Ehlers 2005: 234f.).
15 Vgl. zu Weisgerber im diesem Punkl Knobloch (2005: 258-268).
14
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A FORMAL AND FUNCTIONAL INTERPRETATION
OF LINEAR B QI-WO AS /KWIWO-/ 'CAIRN'
ROGER D. WOODARD (Buffalo)
Abstract:
In recent work, Linear B it-po has been proposed to spell Mycenaean Greek UTTOC, cognate
with Sanskrit yftpa-, name given to the sacrifical post of Vedic cult. The Mycenaean
goddess called u-po-jo(-}po-ti-n't-ja is thus to be understood as iinoio FIoTviu, Potnia of
the hiipos. This is the identification made by Sucharski and Witczak 1996. In this paper
additional evidence is offered that supports this interpretation of Linear B u-po, particularly
evidence provided by Vedic cult, which includes the occurrence of the comparable compound Skt. patm-yiipa-. In addition, it is argued in this paper that Linear B qi-wo is to
be understood as a reflex of the root PIE */.n'?/- 'to build, pile up', source of, inter alia,
Skt. cayana-, a 'piling up', as in the name of the Vedic fire altar, the Agnicayana-. It is
proposed that qi-wo identifies a "cairn' (i.e. a 'piled-up' column), likely a functional variant
of the u-po, and that the C//-H-O is particularly associated with the Mycenaean deities
Hermes and Diwia.
Keywords: Linear B, Mycenaean, Sanskrit, Yupas, Satapatha-Brahmana, Vajapeya,
Rajasuya, Pylos, Thebes, Potnia, Cairn, Hermes, Diwia, Pamphylia
1. Introduction
^
The Linear B form u-po has been in recent years interpreted as spelling a Mycenaean Greek cognate of Skt. yilpct-, the sacrificial column of Vedic ritual. A
broader and more detailed consideration of Mycenaean and Vedic evidence
presented here lends weight to this interpretation. At the same time, this fuller
examination suggests that Linear B qi-wo similarly names a cult implement and
spells a form that finds an etymon in the root PIE *kwei- "to build, pile up'. Linear
B u-po and qi-wo appear to name structures that are variants of one another,
and this variation is reflected in iconography from Mycenae. The deities Diwia
and Hermes are implicated in the ritual domain of these items.
Etymologus
Studien
zur historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft
Herausgegeben von
Festschrift for Vaclav Blazek
.
Harald Bichlmeier und Velizar Sadovski
edited by
Harald Bichlmeier, Ondrej Sefcik & Roman Sukac
Band 14
baar
Hamburg 2020